TRUACOUSTICS: PRÄZISIERUNG DER GEHÖRGANGSAKUSTIK DURCH DIE ANPASSSOFTWARE

Autor: Simon Müller, M. Sc. in Audiology, Audiologisch-wissenschaftlicher Leiter, Widex Hörgeräte GmbH

Ein Grundpfeiler für eine erfolgreiche Hörsystemversorgung ist das Erlangen der akustischen Präzision. Denn diese beeinflusst das Hörvermögen der Anwender, die Klangqualität sowie die Feature-Wirksamkeit und schließlich die Zufriedenheit der Hörgeräteträger. Die Eigenschaften der akustischen Ankopplung wirken hierbei maßgeblich auf den vor dem Trommelfell anliegenden Pegel. So wurden mit dem Ziel, eine natürliche Klangqualität für noch mehr Anpassungen zu erreichen, der Widex-Anpassalgorithmus über TruAcoustics weiterentwickelt und Verstärkungsabgaben präzisiert.

 

Das Zusammenspiel aus Hörgerät, akustischer Ankopplung und Gehörgangsanatomie bestimmt, mit welcher Schallenergie ein Signal ans Trommelfell gelangt und somit über das Mittelohr in die Cochlea geleitet wird. Ohne die Intensität des Signals von Beginn an zu kontrollieren, könnte eine Unter- oder Überversorgung der Hörminderung den Anpasserfolg bzw. die Wirksamkeit einzelner Features mindern. Um in realen Hörumgebungen eine möglichst natürliche Klangqualität bereitzustellen, setzt Widex bei der Verstärkungsberechnung auf den Erhalt von sehr leisen bis hin zu lauten Eingangssignalen, wobei die Sprachverständlichkeit normallauter Sprache im Vordergrund steht (Semds et al., 2016). Um dem Grundsatz der Pegelzusammensetzung akkurat zu folgen und eine natürliche Klangqualität zu bewahren, bewerten Widex-Hörsysteme seit 2006 für jede Anpassung den akustischen Effekt, der aus dem Zusammenspiel zwischen Otoplastik und individueller Gehörgangsakustik entsteht. Das Ergebnis ist das sogenannte Assessment of In-situ Acoustics (AISA) – ein komplexes Berechnungsmodell, um die gewünschten Verstärkungswerte in Abhängigkeit zur individuellen akustischen Ankopplung samt Hörer zu erreichen Andersen et al., 2010). Hierfür wurde eine Messung des individuell vorliegenden Venteffekts herangezogen, um diese mit den akustischen Modellen der CAMISHA-Datenbank zur Otoplastikfertigung (Computer Aided Manufacturing of Individual Shells for Hearing Aids) zu verknüpfen. Die daraus ermittelten akustischen Eigenschaften der vorliegenden Ankopplung erlauben die Berechnung des effektiv wirksamen Venteffekts und folglich des In-situ-Pegels vor dem Trommelfell. Wichtig bei dieser Erhebung ist das Zusammenspiel aus einwirkendem Direktschall und akustischem Abfluss über die Belüftungsöffnung (Vent). Im Vergleich zu einer Berechnung anhand gemittelter Real-Ear-Unaided-Gain-(REUG)-Werte profitieren Hörsystemträger von einer genaueren Kalkulation des Verstärkungsbedarfs.

Neben individuell gefertigten Otoplastiken stieg über die letzten zehn Jahre weltweit die Anwendung von Schirmchen für Hörsystemanpassungen (Sullivan, 2018). Das AISA-Verfahren wurde zur Implementierung weiterer Ankopplungsvarianten, zusätzlicher Hörer sowie der neuartigen Signalverarbeitung PureSound (Balling et al., 2020) weiterentwickelt. Der daraus entstandene Anpassalgorithmus TruAcoustics präzisiert die komplexen akustischen Zusammenhänge mit dem Ziel einer natürlichen Klangwiedergabe für alle Hörsystemversorgungen (Balling & Townend, 2020). Gleichzeitig unterstützt der weiterentwickelte Algorithmus Hörakustiker in ihrer Auswahl der akustischen Parameter, das heißt der idealen Ankopplung und des geeigneten Hörers. Die Hintergründe zur Entwicklung der in Widex Moment-Hörsystemen seit 2020 verwendeten Technologie und warum die persönlichen Akustikparameter für eine Präzisierung der Anpassung ab der ersten Sitzung relevant sind, erfahren Sie in den nachfolgenden Abschnitten.

 

Einfluss der Belüftungsöffnung

Beim Tragen eines Hörsystems definiert nicht nur dessen Ausgangsleistung den effektiven Schalldruckpegel am Trommelfell, sondern ebenso, wie diese akustisch angekoppelt ist. So verändert z. B. eine Belüftungsöffnung (Vent) die vom Hörgerät abgegebene Verstärkungsintensität. Die Differenz zwischen Ausgangsschalldruckpegel des Hörsystems und dem bei eingesetzter akustischer Ankopplung am Trommelfell gemessenen Pegel wird dementsprechend als Venteffekt bezeichnet. Obwohl der Durchmesser der Belüftung (1) den größten Einfluss auf den Venteffekt hat (Lybarger, 1985), beeinflussen ihn insgesamt mindestens fünf Parameter. Zusätzlich wirken die Ventlänge (2), mögliche Leckagen zwischen Gehörgangswand und akustischer Ankopplung (3), das Restvolumen des Gehörgangs (4) und die Impedanz des Mittelohrs (5) (Kuk & Nordahn, 2006). Somit reicht es nicht aus, nur die Länge und den Durchmesser des Vents zu kennen, um den Venteffekt zu bestimmen.  

Wird eine akustische Ankopplung in den Gehörgang eingebracht, wirken die Belüftung (Vent und mögliche Leckage) zusammen mit dem verbliebenen Gehörgangsvolumen als Helmholz-Resonator (Helmholz, 1860). Wie beim Pusten über einen Flaschenhals schwingt der Resonator des Gehörgangs bei seiner spezifischen Frequenz, wobei diese Frequenz eine zusätzliche Verstärkung erfährt. Auf den Bereich unterhalb der Helmholz-Frequenz wirkt eine frequenzabhängige Dämpfung, während der Frequenzbereich oberhalb der spezifischen Frequenz unberührt bleibt (siehe Abbildung 1) (Andersen et al., 2010). Die grundlegende Charakteristik eines Helmholz-Resonators bleibt gleich und stellt einen „Abfluss“ tiefer Frequenzen unterhalb der Helmholz-Frequenz dar. Die Ausmaße des Resonanzverhaltens variieren jedoch anhand der oben genannten Variablen des Venteffekts (1–5). Siehe Kuk & Nordahn (2006) für eine detaillierte Übersicht der unterschiedlichen Einflüsse oder Abbildung 2 als beispielhafte Darstellung für den Einfluss des Ventdurchmessers.

Während das Vent einerseits einen Abfluss der Hörsystemverstärkung unterhalb der Helmholz-Frequenz mit sich bringt, gelangt auf gleichem Wege unverstärkter Direktschall ans Trommelfell. Es gilt also, beide Einflüsse in ihrer Wechselwirkung über den effektiven Venteffekt zu bestimmen. Die daraus resultierende Kontrolle der In-situ-Verstärkung ist relevant, da sie den Klang eines Hörsystems wie auch seine Wirkungsweise der Signalverarbeitung beeinflusst. Ermöglicht wird dies durch den Rückkopplungstest und das Sensogramm der Anpasssoftware.

Fachartikel TruAcoustic

Abbildung 1: Das Gehörgangsrestvolumen inklusive Vent (dunkelblau) wirkt wie ein Helmholz-Resonator (links). Der resultierende Venteffekt eines Hörsystems folgt dem Prinzip des frequenzspezifischen Verhaltens eines Helmholz-Resonators in Abhängigkeit zu seiner Resonanzfrequenz (rechts). Reproduziert aus Kuk & Nordahn (2006).

Fachartikel TruAcoustics Graphik 2

Abbildung 2: Effekt des Ventdurchmessers (d in mm) auf die Ausgangsleistung eines Hörsystems. Reproduziert aus Kuk & Nordahn (2006).

Berücksichtigung in der Anpasssoftware

Ermittlung des Venteffekts via Rückkopplungstest

In der Hörsystemanpassung von Widex wird der Venteffekt individuell bestimmt. Dies geschieht anhand einer einzelnen Messung des Rückkopplungstests. Dieser misst die maximal zur Verfügung stehende Verstärkung, bevor eine Rückkopplung entstehen kann. Bei eingesetztem Hörsystem und über die Abgabe eines Testsignals ermittelt das Hörsystem eigenständig, ob und wie viel des Testsignals vom Trommelfell reflektiert wird und an der akustischen Ankopplung vorbei zurück bis zu den Mikrofonen gelangt. So definiert die Belüftung den Rückkopplungspfad bzw. die akustische Leckage. Das daraus errechnete Ergebnis zur maximal verfügbaren Verstärkung wird mit einer Datenbank verknüpft. In ihr enthalten sind Informationen zur präzisen Fertigung von Otoplastiken mittels CAMISHA-Druckverfahren. Über eine Korrelationsanalyse zwischen den akustischen Modellen der Datenbank und den individuell bestimmten Messergebnissen des Rückkopplungstests kann der äquivalente Venteffekt bestimmt werden. Dieser findet abschließend seine Verwendung bei der Präzisierung der Verstärkungskalkulation. Als Eckpfeiler zur Berechnung des am Trommelfell wirkenden Schalldruckpegels werden die Hörerspezifikation, der persönliche Venteffekt sowie die individuelle In-situ-Hörschwelle mittels Sensogramm herangezogen (Kuk & Nordahn, 2006).

 

Sensogramm und Berücksichtigung des Venteffekts

Damit der Verstärkungsbedarf über das Hörsystem und die dazugehörige Ankopplung genau bestimmt werden kann, wird bei eingesetztem Hörsystem das Sensogramm festgestellt und automatisch für den gemessenen Venteffekt korrigiert. Beim Sensogramm handelt es sich um ein In-situ-Audiogramm, das die Hörschwelle abhängig vom vorliegenden Gehörgangsrestvolumen sowie der Belüftung durch die akustische Ankopplung des Hörsystems ermittelt. Somit wird die vorliegende Hörschwelle unter realen Bedingungen veranschlagt. Das Sensogramm unterscheidet sich also von der herkömmlichen Audiometrie, da diese üblicherweise über Kopfhörer oder Einsteckhörer in quasi geschlossenen Bedingungen durchgeführt wird. Das bedeutet jedoch auch, dass die Sensogrammschwellen im Tieftonbereich je nach Belüftung tendenziell schlechter ausfallen (siehe Prinzip des Helmholz-Resonators, Abbildung 1). Im Vergleich zur Kopfhöreraudiometrie können oberhalb der Resonanz-Frequenz des Gehörgangs die Sensogrammschwellen besser ausfallen. Dies kann mit dem geringeren Restvolumen der In-situ-Messung in Verbindung gebracht werden (siehe Abbildung 3).

Die gemessene In-situ-Hörschwelle ist nur eines der Puzzleteile, um die benötigte Verstärkung (Insertion Gain) des Hörsystems und den daraus resultierenden Schalldruckpegel am Trommelfell exakt zu definieren. Zusätzlich wirkt der Einfluss des Direktschalls durch seine Übertragung über das Vent auf den Gesamtpegel vor dem Trommelfell. Da der akustische Einfluss der Belüftung bereits im Rückkopplungstest ermittelt wurde, kann das Sensogramm über den effektiven Venteffekt korrigiert werden (siehe gestrichelte Linie, Abbildung 3). Die Ventkorrektur reflektiert damit die Grundlage für die Berechnung des individuellen Verstärkungsbedarfs und bildet die Basis zur realistischen Verstärkungsberechnung in Abhängigkeit des Eingangspegels.

Fachartikel TruAcoustics Graphik 3

Abbildung 3: Sensogramm-Darstellung in Compass GPS – Individuelle Messung der Hörschwelle via Sensogramm bei eingesetztem Hörsystem (bunter Bereich), sowie des Audiogramms über Kopfhörer (rote Linie). Das Ventkorrigierte Sensogramm (gestrichelte Linie) definiert die Grundlage zur Verstärkungsberechnung und berücksichtigt dabei individuelle Parameter der Gehörgangsakustik.

Weiterentwicklung zu TruAcoustics – Grundlagen

Das oben beschriebene Verfahren bringt eine hohe Genauigkeit mit sich, jedoch erfordern der vermehrte Einsatz von Schirmchen in der Anpassung (Sullivan, 2018) sowie neue Signalverarbeitungsstrategien (z. B. PureSound [Balling & Townend, 2020]) ein Update des seitherigen AISA-Anpassalgorithmus. Durch die Vielfalt der akustischen Ankopplungsmöglichkeiten und den folgerichtigen Bedarf, deren Variabilität noch präziser Rechnung zu tragen, wurde eine groß angelegte Studie (Caporali et al., 2019 & Balling et al., 2019) durchgeführt. Die Studie ermittelt den Venteffekt und Insertion Loss für die in der Anpasssoftware Compass GPS hinterlegten Schirmchen genauer. Die Designs der Schirmchen der hier vorgestellten Studie sind vergleichbar zu gängigen Modellen anderer Anbieter. Besonderes Augenmerk lag bei der Datenauswertung auf der Variabilität zwischen den Probandenohren, aber auch auf den Formfaktoren der fünf Schirmchen. Denn welche Auswirkung der Einsatz von Schirmchen auf die effektive Gehörgangsakustik hat, wurde bisher in nur wenigen Arbeiten untersucht (z. B. Mueller & Ricketts, 2006).

Fachartikel TruAcoustic

Abbildung 4: Unterschiedliche Schirmchen-Varianten, die mit ihrem akustischen Modell in Compass GPS hinterlegt sind. (a) offenes Schirmchen, (b) Tulpe, (c) Ballon-Schirmchen mit zwei Vents, (d) Ballon-Schirmchen mit einem Vent und (e) Doppeldomes.

Die von Balling et al., (2019) aus Hunderten Messungen von über 58 Ohren resultierenden Ergebnisse geben Aufschluss über die akustische Transparenz der Schirmchen-Variante für Direktschall (Insertion Loss) sowie den dazugehörigen Venteffekt. Die Datenerhebung demonstriert die unterschiedlichen akustischen Eigenschaften der Schirmchen zueinander und zeigt eine große Variabilität zwischen den Probandenohren auf (vergleiche Abbildung 5). Hervorzuheben ist eine große Varianz des Venteffekts zwischen den Probanden bei der Verwendung von Doppeldomes (Abbildung 5, grau eingefärbte Fläche, unten rechts). Obwohl der mittlere Venteffekt für Doppeldomes (Abbildung 5, orange Linie) von allen hier gemessenen Ankopplungsarten am geringsten ausfällt, erfuhren einzelne Probanden wesentliche Unterschiede. Während für einen Probanden der Venteffekt bei 125 Hz nur -6 dB betrug (annähernd komplett geschlossen), erfuhr ein anderer Proband bei derselben Frequenz einen Venteffekt von -38 dB (annähernd komplett offen). Die Erwartung, dass ein Doppeldome gemäß seinem Design eine geschlossene Anpassung ermöglicht, kann abhängig von der Gehörgangs­anatomie ein Trugschluss sein. Eine Differenz des Venteffekts in dieser Größenordnung demonstriert eindrucksvoll, dass Doppeldomes unterschiedliche akustische Eigenschaften in verschiedenen Gehörgängen annehmen können. Somit muss die persönliche Gehörgangsakustik durch die Anpasssoftware individuell definiert und die Ausgangsleistung kontrolliert werden. Um eine Präzision der Verstärkungskalkulation zu erlangen, sollte sich demnach nicht auf durchschnittliche REUG-Werte verlassen werden, sondern es sollten individuell effektive Venteffekte herangezogen werden. Dies gilt nicht nur für die Verwendung von Doppeldomes, sondern aufgrund der allgemeinen Inter-Probanden-Variabilität von mehreren Dezibel für alle Ankopplungsarten. Da sich die akustischen Parameter der getesteten Schirmchen in ihrer frequenzspezifischen Charakteristik zusätzlich voneinander unterscheiden, wurden diese Faktoren ebenfalls in der TruAcoustics-Entwicklung berücksichtigt. Dazu werden akustische Modelle für Schirmchen und Otoplastiken in einer weiterentwickelten Datenbank hinterlegt, die dann durch die Auswahl der dazugehörigen akustischen Ankopplung in der Anpasssoftware aktiviert werden. Für die Erstellung der TruAcoustics-Modelle wurden die Daten der vorgestellten Studie sowie zusätzliche Widex-interne Datenerhebungen als Entwicklungsgrundlage herangezogen. Die Widex-Plattformen Moment und Magnify können durch diese Entwicklung den benötigten Schalldruckpegel am Trommelfell noch exakter kalkulieren.

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Abbildung 5: Oben: Durchschnittlicher Insertion Loss in 1/3-Oktavbändern für 58 Ohren und fünf unterschiedliche Schirmchen (kolorierte Linien) inklusive Standardabweichung ±1 (kolorierte Flächen). Die grau eingefärbte Fläche repräsentiert die jeweilige Reichweit (min./max.) der individuellen Messungen. Unten: Durchschnittlicher Venteffekt in 1/3-Oktavbändern für 58 Ohren und fünf unterschiedliche Schirmchen (kolorierte Linien) inklusive Standardabweichung ±1 (kolorierte Flächen). Die grau eingefärbte Fläche repräsentiert die jeweilige Reichweite (min./max.) der individuellen Messungen. Grafiken aus Balling et al., 2019.

TruAcoustics – Inhalt und Vorteile

TruAcoustics greift für alle verfügbaren Otoplastiken und Schirmchen auf die in der Anpasssoftware hinterlegten akustischen Modelle zu. So werden abhängig von der vorhandenen Hörminderung automatisch Empfehlungen für die passende Ankopplungsart (Kombination aus Hörer und Ohrstück) vorgeschlagen sowie deren realistische Anpassbereiche dargestellt. Die zugrunde liegenden akustischen Eigenschaften des ausgewählten Ankopplungsmodells (siehe als schematischer Vergleich Abbildung 5) dienen zur Parameterberechnung der Signalverarbeitung, die die Verstärkungsfreigabe einschließt. Die in der Anpassung nachfolgenden Messungen des Rückkopplungstests sowie des Sensogramms werden ausdrücklich empfohlen. Nur so kann neben den Modellen der Ankopplung die individuelle Gehörgangsakustik der Hörsystemanwender in die individuelle Kalkulation einbezogen werden. Der TruAcoustics-Algorithmus bildet die Basis für eine präzise Schallabgabe in beide Signalverarbeitungspfade – klassische sowie ultraschnelle PureSound-Verarbeitung (siehe für eine Übersicht Müller, 2020).

Die Ergebnisse von Caporali et al. (2019) und Balling et al. (2019) demonstrieren die Bedeutung der Variabilität zwischen den Probanden. Durch die detailliertere Veranschlagung der akustischen Parameter mittels TruAcoustics werden ab der ersten Anpassung gewünschte Anpass- und damit verbundene Verstärkungs-Ziele genauer berücksichtigt. Die Strategie hierbei ist es, für Hörakustiker einen beschleunigten und folglich effektiveren Anpassprozess in Widex Moment- und Magnify- Hörsystemen zu ermöglichen. Dies geschieht durch die integrierte Datenbank-Unterstützung und die darin hinterlegten Modelle der akustischen Ankopplungen. TruAcoustics schlägt den Hörakustikern demnach über die Anpasssoftware die für den Hörverlust ideale akustische Ankopplung vor und bildet den dazugehörigen realistischen Anpassbereich in der Software ab. Hinzu kommt, dass es fortan nicht mehr notwendig ist, in Compass GPS zu definieren, ob eine offene oder geschlossene Ankopplung vorliegt. Denn der Einfluss des Direktschalls sowie der zu erwartende Wirkungsbereich des Vents sind für jedes Schirmchen oder jede Otoplastik und deren zugehörige Parameter (z. B. Durchmesser der Belüftungsbohrung) hinterlegt. Gleichzeitig wird das Ziel verfolgt, die Widex-Klangqualität durch die Bewahrung natürlicher Klangeigenschaften sicherzustellen. Die Wichtigkeit der Klangqualität wird auch durch die internationale Umfrage von Balling et al. (2021) widergespiegelt. Über 101 erfahrene Hörsystemträger aus sieben Ländern verglichen zwischen ihren eigenen Hörsystemen und via TruAcoustics angepassten Hörsystemen. Während 69 Prozent der Befragten angeben, dass sie mit ihrem eigenen Hörsystem an alltäglichen Hörsituationen anstrengungsfrei teilnehmen konnten und mit dem Hörsystem zufrieden waren, stieg dieser Wert für Hörsysteme mit TruAcoustics-Anpassung signifikant (p < 0,0001) auf 90 Prozent. Die Ergebnisse der Umfrage erlauben es, darauf zu schließen, dass ein Faktor für die positive Bewertung der Klangqualität über unterschiedliche alltägliche Hörsituationen hinweg die durch TruAcoustics erzielte akustische Präzision ist. So waren 91 Prozent der Probanden mit der allgemeinen Klangqualität der TruAcoustics-Hörsysteme zufrieden.

 

Zusammenfassung

TruAcoustics ist die präziseste Methode, um für ein Widex-Hörsystem die Anpassberechnung durchzuführen, und daher die Grundlage für unsere natürlichste Klangqualität. Unabhängig von Hörminderung oder Hörsystemerfahrung wirkt der intelligente Anpassalgorithmus für alle ausgewählten Anpassformeln in Moment- und Magnify-Hörsystemen. Ziel von TruAcoustics ist es, den natürlichen Klang so präzise wie möglich am Trommelfell abzubilden. Dies geschieht durch die Integration aktualisierter akustischer Modelle über Otoplastiken und Schirmchen innerhalb der Anpasssoftware Compass GPS sowie der dazugehörigen Ermittlung des effektiven Venteffekts und des In-situ-Audiogramms. Ab der ersten Anpassung erfolgt die Kalkulation des TruAcoustics-Algorithmus nahtlos in drei Schritten: (1) Auswahl der akustischen Ankopplung, (2) Rückkopplungstest und (3) Sensogramm. Die herangezogenen statistischen Modelle und Erkenntnisse über eine Vielzahl an akustischen Ankopplungen ermöglichen für Hörakustiker eine präzisere Hörsystemanpassung wie auch mehr Übersicht über den Anpassbereich und dadurch eine größere Kontrolle der beteiligten Parameter. Hörsystemträger profitieren von einer realistischeren Kalkulation des Verstärkungsbedarfs vor dem Trommelfell und erfahren hierdurch eine Steigerung der Klangqualität. Zur Bewahrung der natürlichen Klangattribute setzt Widex auf die Bereitstellung des Sprachverstehens bei normalen Sprachpegeln und gleichzeitiger Balance der Eingangspegel, um laute Pegel nicht unangenehm laut sowie leise Geräusche ohne abzulenken hörbar abzubilden. Der TruAcoustics-Algorithmus definiert die präzise Schallabgabe in Moment-Hörsystemen und formt damit auch die Signalverarbeitung der ultraschnellen PureSound-Technologie. Widex demonstriert, wie diese datenbasierte Weiterentwicklung die Güte des Klangs optimiert, wodurch TruAcoustics zu einem wichtigen Bestandteil wird, das Ziel der natürlichsten Klangqualität zu erlangen.

 

Dieser Fachartikel erschien ursprünglich in der Ausgabe 08/2021 in der "Hörakustik."

Simon Müller, audiologisch-wissenschaftlicher Leiter bei Widex

Autor:

Simon Müller ist seit 2017 audiologisch-wissenschaftlicher Leiter bei der Widex Hörgeräte GmbH in Stuttgart. Nach einem Bachelor in Augenoptik und Hörakustik an der Hochschule Aalen im Jahr 2011 erlangte er 2012 den Master of Science in Audiology an der University of Manchester. Praktische Erfahrung sammelte er als Betriebsleiter eines Hörakustikfachgeschäfts und als audiologischer Leiter an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen.

Quellen:

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Balling L W, Jensen N S, Caporali S, Cubick J & Switalski W. (2019). Challenges of instant-fit ear tips: What happens at the eardrum? Hearing Review. 2019; 26 (12) [Dec]: 12–15.

Balling L W & Townend O. (2020). Widex Moment – This Sound Changes Everything. Widex Press. 2020, 43, 1–10.

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Balling L W, Townend O & Helmink D. (2021). Sound quality in real life – Not just for experts. Hearing Review. 2021; 28 (2): 27–30.

Caporali S, Cubick J, Catic J, Damsgaard A, Schmidt E. (2019). The vent effect in instant ear tips and its impact on the fitting of modern hearing aids. Poster presented at: International Symposium on Auditory and Audiological Research (ISAAR), Nyborg, Denmark, August 2019.

Kuk F & Nordahn M. (2006). Where an accurate fitting begins: Assessment of in-situ acoustics (AISA). Hearing Review, 13 (7), 60, 62–64, 66–67.

Lybarger S F. (1985). Earmolds. In: Katz J (Ed.). Handbook of clinical audiology (pp. 885–910). Baltimore, U.S.A.: Williams & Wilkins.

Mueller H G & Ricketts T A. (2006). Open-canal fittings: Ten take-home tips. Hear Jour. 2006; 59 (11): 24–39.

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Smeds K, Dahlquist M, Wolters F, Larsson J & Hertzmann S. (2016). Widex Fitting Rationale: A Need for a Change? Hearing Review. 2016; 23 (1): 24.

Sullivan, R. F. (2018). A Simple and Expedient Method to Facilitate Receiver-in-Canal (RIC) Non-custom Tip Insertion. Hearing Review. 2018; 25(3), 12–13.

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