Warum Hörsysteme durch künstliche Intelligenz von uns lernen sollten
Autor: Simon Müller, M. Sc. in Audiology, Audiologisch-wissenschaftlicher Leiter, Widex Hörgeräte GmbH
Künstliche Intelligenz (KI) ist in vielen Bereichen unseres Alltags angekommen. So erkennen zum Beispiel Smartphones die Gesichter ihrer Besitzer und entsperren daraufhin den Bildschirm, Fahrzeuge erlernen das autonome Fahren oder verknüpfen ihre Fähigkeiten mit denen des Fahrers, um Aufgaben zu erfüllen, die keiner von beiden eigenständig erfüllen könnte (Daugherty, 2018). Diese so entstandene Symbiose aus Mensch und Maschine stellt eine Möglichkeit dar, Aufgaben flexibel und effizient zu lösen. Künstliche Intelligenz hat inzwischen auch die Hörakustik-Branche erreicht. Widex Evoke ist das erste Hörsystem, das Machine-Learning nutzt, um das individuelle Klangempfinden von Hörgeräte-Trägern in Echtzeit zu berücksichtigen.
Seit 2018 ermöglicht künstliche Intelligenz in Form eines Machine-Learning-Verfahrens bislang noch nie dagewesene Individualisierungsprozesse im Hörsystem. Die Kombination aus der Anpassung des Hörakustikers, der Automation des Hörsystems und der flexiblen Individualisierung des Klangeindrucks, ermöglichen ein komfortables Hörerlebnis in den unterschiedlichen Hörsituationen des Alltags seiner Anwender. Denn obwohl moderne Situationsautomatiken die vorliegenden akustischen Umgebungen zuverlässig erkennen und sie dementsprechend verarbeiten, bleibt die individuelle Hörintention des Einzelnen zum Teil unberücksichtigt. Mit einem Machine-Learning-Verfahren in Echtzeit können Hörsystem-Träger den Klang des Hörsystems in der aktuellen Situation verfeinern und auf ihre individuellen Bedürfnisse einstellen. Wie Machine Learning in Echtzeit in Widex Evoke funktioniert und welche Chancen die Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz in Hörsystemen bietet, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Künstliche Intelligenz oder Machine Learning?
Das Konzept der künstlichen Intelligenz ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Bereits 1950 entwickelte der Naturwissenschaftler Alan Turing den sogenannten Turing-Test, der herausfinden soll, ob die Intelligenz eines Computers bzw. einer Maschine der des Menschen entspricht (Turing, 1950). Im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz entstanden bereits damals der Turing-Test oder dessen Abwandlungen zur Überprüfung und Einschätzung von entwickelten Systemen.
Der Begriff künstliche Intelligenz wurde erstmals 1956 durch John McCarthy geprägt, wodurch gleichzeitig ein neues Arbeitsfeld der Computerwissenschaften entstand (Mueller & Massaron, 2018). Als künstliche Intelligenz lässt sich das Vermögen eines Computers oder einer Maschine beschreiben, die in der Lage ist, intelligentes Verhalten eines Menschen zu imitieren (Merriam-Webster, 2018). Dennoch ist der Begriff „künstliche Intelligenz“ kein Merkmal für die Aufgaben, die diese Technologie übernehmen kann. Hierzu wird definiert, welches Verfahren verwendet wird beziehungsweise worin der spezifische Anwendungsbereich liegt. Denn künstliche Intelligenz kann durch verschiedene Methoden erreicht werden, z. B. mit Elementen aus der Sensorik, neuronalen Netzwerken, Big-Data-Analysen und Machine-Learning-Anwendungen. Oft kommt es zu einer Kombination aus den unterschiedlichen Bereichen.
Bei Machine-Learning-Anwendungen analysiert ein System Daten und erkennt mit Hilfe selbstlernender Algorithmen in den gesammelten Daten bestimmte Muster und Gesetzmäßigkeiten. Das Ziel von Machine Learning ist es, Daten intelligent miteinander zu verknüpfen, Zusammenhänge zu erkennen, Rückschlüsse zu ziehen und valide Vorhersagen zu treffen. Dabei greift diese Art der algorithmischen Berechnung von Wahrscheinlichkeiten immer auf Daten zurück, die der Mensch selbst bereitstellt. Machine-Learning-Anwendungen arbeiten entweder im Bereich des menschenmöglichen oder sogar darüber hinaus und decken Aufgaben ab, die der Mensch nur schwer lösen kann (siehe Abbildung 1).
Mit dem Einsatz von Machine Learning schafft Widex eine Symbiose aus der Anpassung des Hörakustikers und der Individualisierungsmöglichkeit über künstliche Intelligenz – gesteuert über die individuellen Rückmeldungen des Hörsystemträgers.